Die Entstehung des Kindesverhältnisses
Mit der Frage nach der Entstehung des Kindesverhältnisses wird die rechtliche Zuordnung eines Kindes zu seinen Eltern geklärt1. Diese Zuordnung wird in der Regel mit der biologischen Elternschaft übereinstimmen, zwingend ist dies aber nicht2.
Mutter
Die Zuordnung eines Kindes zu seiner Mutter ist einfach. Nach Art. 252 Abs. 1 ZGB entsteht das Kindesverhältnis zur Mutter mit der Geburt (mater semper certa est).
Die Entwicklung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung führt jedoch dazu, dass diese Sicherheit relativiert wird. Gespendete Eizellen und gespendete Spermien können einer Dritten als Embryo eingesetzt werden. Ein solches Vorgehen ist in der Schweiz nach Art. 4 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) verboten. Es gibt aber Staaten, in denen das zulässig ist und daher ist davon auszugehen, dass es auch in der Schweiz so gezeugte Kinder gibt 3. Falls in der Schweiz in Umgehgung von [Art. 4 FMedG] ein Kind durch eine Leihmutter ausgetragen wird entsteht de lege lata durch die Geburt ein Kindesverhältnis zu ihr4.
Vater
Beim Vater ist die Situation etwas komplizierter. Ohne vertiefte biologische Abklärung kann die Vaterschaft nur vermutet oder autoritativ festgestellt werden. Das Gesetz zählt in Art. 252 Abs. 2 ZGB eine Reihenfolge von Entstehungsgründen auf. Alle Entstehungsgründe knüpfen an das Kindesverhältnis zur Mutter an5.
An erster Stelle steht die Vermutung6, dass der Ehemann der Mutter der Vater des Kindes sei. Präzisiert wird diese Vermutung in Art. 255 ZGB. Diese Vermutung ist Ausfluss aus dem ursprünglichen Wesen der Ehe als ausschliessliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau7. Der zeitliche Abstand zwischen Eheschliessung und Geburt spielt dabei keine Rolle8.
Die Ehelichkeitsvermutung wird ergänzt um die Begründung des Kindesverhältnises durch Anerkennung oder Vaterschaftsurteil. Voraussetzung für diese Fälle ist allerdings, dass ausschliesslich ein Kindesverhältnis zur Mutter besteht; sei es weil sie ledig ist, sei es, dass das Kindesverhältnis zum Ehemann durch Anfechtung beseitig worden ist9.
Anfechtung der Vaterschaftsvermutung
Zur Anfechtung der Vaterschaftsvermutung ist nach Art. 256 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB in erster Linie der Ehemann berechtigt. Zusätzlich ist das Kind nach Art. 256 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB zur Anfechtung der Vermutung der Vaterschaft berechtigt, wenn der gemeinsame Haushalt der Eltern noch während seiner Minderjährigkeit endet.
Neben dem Vater und dem Kind ist niemand zur Anfechtung der Vaterschaftsvermutung des Ehemannes berechtigt. Insbesondere der biologische Vater hat keine Möglichkeit seine Vaterschaft rechtlich feststellen zu lassen10. Damit soll der Familienfrieden gewahrt werden.
Adoption
Bei der Adoption handelt es sich um die Begründung des Kindesverhältnisses durch einen Rechtsakt. Die Adoption tritt an die Stelle des biologischen Kindesverhältnisses11. Die einzige rechtliche Verbindung zur biologischen Familie, die bestehen bleibt, ist das Ehehindernis der Verwandtschaft.
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Schwenzer, Ingeborg. „Die Entstehung des Kindesverhältnisses: Vorbemerkungen zu Art. 252 - 359“. In Zivilgesetzbuch I, herausgegeben von Heinrich Honsell, Nedim Peter Vogt, und Thomas Geiser, 5. Auflage. Basler Kommentar. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2014 (Zitiert Basler Kommentar vor Art. 252 ZGB), N 2. ↩
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Basler Kommentar vor Art. 252 ZGB, N 2. ↩
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Wo eine Nachfrage besteht, wird auch ein Angebot gemacht; vgl. The Economist. „Carrying a child for someone else should be celebrated—and paid“. The Economist. Zugegriffen 11. Juni 2017. http://www.economist.com/news/leaders/21721914-restrictive-rules-are-neither-surrogates-interests-nor-babys-carrying-child; The Economist. „As demand for surrogacy soars, more countries are trying to ban it“. The Economist. Zugegriffen 11. Juni 2017. http://www.economist.com/news/international/21721926-many-feminists-and-religious-leaders-regard-it-exploitation-demand-surrogacy. ↩
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Schwenzer, Ingeborg. „Die Entstehung des Kindesverhältnisses: Erster Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen“. In Zivilgesetzbuch I, herausgegeben von Heinrich Honsell, Nedim Peter Vogt, und Thomas Geiser, 5. Auflage. Basler Kommentar. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2014 (Zitiert Basler Kommentar Art. 252 ZGB), N 9. ↩
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Hausheer, Heinz, Thomas Geiser, und Regina Elisabeth Aebi-Müller. Das Familienrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. 5., Vollständig überarbeitete und Aktualisierte Auflage. Stämpflis juristische Lehrbücher. Bern: Stämpfli, 2014 (Zitiert Familienrecht ZGB), N 16.16. ↩
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Basler Kommentar Art. 252 ZGB, N 13. ↩
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Hegnauer, Cyril, und Peter Breitschmid. Grundriss des Kindesrechts: und des übrigen Verwandtschaftsrechts. 4., Überarbeitete Aufl. Stämpflis juristische Lehrbücher. Bern: Stämpfli, 1994 (Zitiert Hegnauer), N 5.02. ↩
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Hegnauer, N 5.06. ↩
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Familienrecht ZGB, N 16.48 und 16.62. ↩
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BGE 108 II 344, E. 2; Familienrecht ZGB, N 16.35. ↩
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Familienrecht ZGB, N 16.72. ↩